In der klassischen Homöopathie beziehen wir uns bei der Behandlung von Krebs auf die alte Literatur und damit auf die "alten Meister". Sie hatten die Möglichkeit in einem Zeitalter vor Chemotherapie und Bestrahlung "unverfälschte" Krebsfälle zu behandeln und entsprechende Heilmittel zu dokumentieren, an denen wir uns heute gut orientieren können. Unabhängig davon, ob parallel zur konventionellen Medizin oder ausschließlich homöopathisch gearbeitet wird.

Ich werde hier den theoretischen Hintergrund der Krebsbehandlung aufzeigen, so wie er von James Compton Burnett (1840-1901), John Henry Clarke (1853-1931) und Emil Schlegel (1852-1934) praktiziert wurde. Diese Homöopathen haben in England und Deutschland zu einer Zeit praktiziert, als die Chemotherapie noch nicht entdeckt war, und die Strahlentherapie in ihren Kinderschuhen steckte. Weder die an Krebs erkrankten Menschen noch die Ärzte hatten damit also ein großes Repertoire an Behandlungsmöglichkeiten – in der Regel war die Therapie auf äußere Eingriffe, wie operieren, weg-ätzen und Salbenanwendungen beschränkt.
Dass Tumore auch mit Arzneimitteln von innen her behandelbar sind, war damals das besondere Wissen der Homöopathen.

Und auch heute ist das noch so. Abgesehen von Misteltherapie (anthroposophische Medizin), manchen pflanzlichen Heilmitteln, wie z.B. dem "Indianer-Tee" (Phytotherapie), kennen wir heute nur die meist sehr schwer verträgliche Chemotherapie als innere Anwendungsweise. So ist die Homöopathie mit ihrer Vielzahl an sanft wirkenden Spezifika ein wunderbares Geschenk bei der Krebsbehandlung.

Je nachdem auf welche Schule wir uns beziehen, kennen wir in der Homöopathie verschiedene Ebenen der Krebsbehandlung. Immer abhängig davon, mit welchen Voraussetzungen und Wünschen die Patientin/ der Patient kommt, können wir spezifisch ansetzen. Vom jeweiligen Behandlungsauftrag ist es abhängig, mit welchem Modell der Behandlung begonnen wird: Will die Patientin/ der Patient nur Unterstützung parallel zu Chemotherapie und/ oder Bestrahlung, wird anders gearbeitet, als bei Menschen, die sich ausschließlich für den homöopathischen Weg entscheiden und nochmal anders bei jenen, die im Endstadium ihrer Erkrankung in die Praxis kommen.

Die verschiedenen Behandlungsebenen:
In der Krebstherapie müssen wir differenzieren zwischen einer curativen (heilenden) und einer palliativen (lindernden) Behandlung. Das eine Stadium kann jeweils ins andere übergehen. Es muss uns als Behandler/innen immer klar sein, dass die Begleitung in alle Richtungen gehen kann: Ins Leben und ins Sterben.

Folgende Ebenen werden in der Behandlung berücksichtigt:

  • Konstitution
  • Miasmatik
  • Organotrop
  • Ausleitung
  • Op-Begleitung
  • Substitution
  • Palliation

Konstitution*:
Konstitutionell (auf allen Ebenen) wird dann gearbeitet, wenn die Patientin/ der Patient in ihrem/ seinem ganzen Prozess unterstützt und begleitet werden will. Hier wird nach dem Ähnlichkeitsprinzip individuell das möglichst ähnliche Mittel (Simillimum) gewählt. Bei der Wahl des konstitutionellen Mittels werden auch äußere Faktoren wie zum Beispiel Unfälle, Traumata, Gewalterfahrungen, Umweltgifte, Vergiftungen, Süchte, medizinische Eingriffe, Impfungen und die Lebens- und Arbeitsbedingungen berücksichtigt, welche die ursprüngliche Konstitution wesentlich verändern können.
"Die Konstitution hat also mit den individuellen Potentialen und Erfahrungen des Menschen zu tun, was wiederum dem individuellen Ansatz von Heilung in der Homöopathie entspricht. Nicht für die Krankheit gibt es ein Heilmittel, sondern für den Menschen, der an ihr erkrankt ist. Und dieses Individuum wiederum drückt sich sowohl über die Krankheitssymptome und ihren Umgang damit als auch über seine Anlagen, Eigenheiten, Muster, Strukturen, Überlebensstrategien, Erfahrungen usw. in einzigartiger Weise aus. Auch die Krebserkrankung zeigt sich einzigartig." 1 Das konstitutionelle Mittel berücksichtigt also auch die Krebssymptomatik. Adäquat zur Lebensenergie werden auf dieser Ebene Hochpotenzen verordnet.

* Konstitution: In älteren Konstitutionslehren meint der Begriff in der Regel die Summe der körperlichen und seelischen Veranlagungen eines Menschen. Heute werden unter Konstitution meist die relativ überdauernden körperlichen Eigenschaften eines Menschen zusammengefasst, die für das allgemeine Leistungsvermögen, Wohlbefinden und die Gesundheit wichtig sind und über längere Entwicklungsphasen oder die gesamte Lebensspanne bestehen.

Miasmatik**:
Vor allem Burnett hat in der Krebsbehandlung viele Erfolge durch die Einbeziehung der Miasmatik erreicht. Auch in den Homöopathie-Kliniken wird in der Regel miasmatisch gearbeitet. Es wird davon ausgegangen, dass bereits vor dem Krebsgeschehen Energien im Körper gewirkt haben, die den Krebsprozess ermöglicht haben. Es gab ein "Übel vor dem Krebs". 2 Dieser besondere energetische Zustand kann anhand der Lebensbiographie, der Familienanamnese und an den jeweiligen Körper- und Gemütssymptomen den Miasmen zugeordnet werden.
Die Miasmenlehre, die ein großes Standbein in der klassischen Homöopathie darstellt, kann an dieser Stelle nicht ausreichend vorgestellt werden. Bevor sie jedoch in die Behandlung mit einbezogen wird, sollte sie unbedingt entsprechend intensiv studiert werden.

** Miasmatik: übersetzt: "Grundübel" – Anlagen und energetische Zustände, die von den Vorfahren weitergegeben wurden und/ oder frühere Infektionserkrankungen, die nicht vollständig ausgeheilt sind. Samuel Hahnemann hat in seinem Werk: "Die chronischen Krankheiten" die Miasmatik begründet.Inzwischen gibt es mehrere verschiedene Modelle der Miasmenlehre, welche aber alle das ursprüngliche Prinzip zur Basis haben.

Organotrop:
Leider werden immer wieder Fälle beschrieben, in denen es den Menschen mit ihrem konstitutionellen Mittel energetisch wunderbar geht, das Krebsgeschehen aber voran schreitet. Das ist das Dilemma mit einer Erkrankung, die sich vom System des Körpers abgespalten hat. Deshalb empfiehlt es sich, mehrgleisig zu arbeiten und organunterstützende (organotrope) und ausleitende Mittel mit einzubeziehen. Auf dieser Ebene wird parallel zum konstitutionellen Mittel das Organ, in dem sich der Krebs manifestiert hat, spezifisch unterstützt. Hier werden Tiefpotenzen (D-Potenzen) mehrmals täglich verordnet – die sogenannten "kleinen Mittel" in der Homöopathie, die uns eben über die eingangs erwähnten alten Homöopathen vermittelt wurden. Zwei organotrope Mittel für die Brüste möchte ich kurz vorstellen:

  • Bellis perennis (Gänseblümchen): Brustkrebs nach Verletzung (Schlag, Stoß, Prellung) der Brust; Die Brust ist sehr berührungsempfindlich. Die ganze Person ist äußerst empfindsam und duldsam. "Zeigt nur den Sonnenschein, auch wenn auf ihr 'herum getrampelt' wird. Häufig Aggressionen aus der vertrauten Umgebung ausgesetzt." 3
  • Conium (Schierling): ebenso Brustkrebs nach Traumata, allerdings ist die Brust nicht so berührungsempfindlich – im Gegenteil: die Frau hat das Bedürfnis ständig ihre Brust selbst zu untersuchen, am Knoten zu tasten und zu prüfen, ob sich etwas verändert; Die Brust weist steinharte Indurationen (Verhärtungen) auf, es sind brennende, stechende Schmerzen; Die Tumore sind während der Menstruation angeschwollen; Schweregefühl in der Brust; Die Lymphdrüsen in der Achsel sind sehr hart;

Wenn sich das organotrope Mittel mit konstitutionellen Themen verbindet, kann durchaus auch in Hochpotenzen gearbeitet werden – dann ist das organotrope Mittel gleichzeitig das Konstitutionsmittel.

Ausleitung
Die toxische Belastung für den Körper während der Chemotherapie und/ oder Bestrahlung macht es notwendig, die Ausscheidungsorgane zu unterstützen – dadurch kann eine Linderung der Nebenwirkungen oder Unverträglichkeiten erreicht werden und die Lebenskraft gestärkt werden. Ausleitungsmittel werden in Urtinkturen oder Tiefpotenzen verabreicht: Ø - D12. Die Mittelwahl findet genauso statt, wie bei der Wahl eines Akutmittels: Übelkeit und Erbrechen nach Chemotherapie wird dann beispielsweise so behandelt wie ein akuter Magen-Darm-Infekt. Hier einige Spezifikas:

  • Nebenwirkungen bei Chemotherapie: Ipecacuanha, Arsenicum album, Phosphorus, China, Carbo animalis
  • Nebenwirkungen bei Bestrahlung: X-Ray, Radium bromatum, Sol
  • Leber-/ Galleunterstützung: Taraxacum, Carduus marianus, Chelidonium, Nux vomica, Okoubaka

Op-Begleitung
Die Operation kann ein traumatisierender Eingriff sein: Die Verletzung des Körpers (durch den operativen Eingriff), das Ohnmachtsgefühl im Op-Saal, der neue Befund, das Wiedererinnern alter Traumatisierungen. Mit der Homöopathie können wir hier wunderbar auffangen, trösten, lindern, heilen lassen. Wir verordnen in Tiefpotenzen die bekannten Mittel für Wundheilung, Narkoseausleitung, Schock, Ängste und Schwäche nach Op:

  • Wundheilung: Arnica, Staphisagria, Bellis perennis, Calendula
  • Narkoseausleitung: Nux vomica, Okoubaka, Opium
  • Schock: Aconitum, Ignatia
  • Ängste: Gelsemium, Bachblüten
  • Schwäche: China, Veratrum album

Substitution
Für die Substitution bei Kachexie (Auszehrung) bei Krebs im fortgeschrittenen Stadium verweise ich auf Dr. Rosina Sonnenschmidt. 4 Sie bietet hierfür ein ausführliches Behandlungskonzept mit Schüsslersalzen, Vitaminen und Nahrungsergänzungsmitteln an. Homöopathisch kommen u.a. die Heilwässer (z.B. Levico aqua), die Jod- und Arsen-Verbindungen in Frage.

Palliation
Ist die Erkrankung bereits zu weit fortgeschritten, kann Linderung der Schmerzen erreicht werden und die Lebensqualität kann aufgewertet werden. Wir können an Mittel wie Opium, Plumbum, Nux vomica, Ruta, Kreosotum, Euphorbium denken. Häufig ist ein schmerzfreies Leben und Sterben mit Krebs dank der Homöopathie möglich.

Heilungsverlauf
Eine Möglichkeit, den Heilungsverlauf genau zu beobachten sind Verlaufsparameter: Die Patientin/ der Patient beurteilt täglich, wie sich Beschwerden und Befindlichkeit verändern und dokumentiert dies in einer Tabelle mithilfe eines Punktesystems von 0-10. Nach zwei Wochen wird gemeinschaftlich geprüft. Unabhängig davon, mit welchem Hilfsmittel der Behandlungsverlauf dokumentiert wird, ist es wichtig, die Patient/innen in ihrer Eigenwahrnehmung und Selbstfürsorge zu unterstützen. In der Hahnemann-Klink (Tübingen) wird das "Achtsamkeitstraining" genannt.

Lebenslust
Weil es in der Krebsbehandlung nicht vorrangig um Lebensverlängerung geht, sondern um eine Steigerung der Lebensqualität, sei alles getan, was der Lebenslust entgegen kommt!
Unterstützende Maßnahmen können zum Beispiel die Wildwuchsarbeit (Visualisierungsarbeit nach Angelika Koppe), Psychotherapie, Energiearbeit und vieles mehr sein – alles mit dem Ziel, Änderung von veralteten Lebensmustern und Glaubenssätzen zu ermöglichen.

Heilung
Es ist immer alles möglich..... Es gibt viele Wege.... Es gibt kein richtig und kein falsch.

Zitate:
1 Gudrun Barwig: "Konstitution und Konstitutionsbehandlung", Artikel erschienen in Globuli – Magazin für Patienten und Freunde der Homöopathie, Ausgabe II/2009: AD(H)S bei Kindern
2 Alok Pareek: "Das Übel vor dem Krebs", Artikel erschienen in Spektrum der Homöopathie, Ausgabe: 2/ 2010: Miasmen, Narayana-Verlag
3 Amati Holle: "Tumore und Krebs der Brust", Artikel erschienen in Lachesis, Fachzeitschrift für Heilpraktikerinnen, Ausgabe 40: Onkologie
4 Dr. Rosina Sonnenschmidt: Prozessorientierte Homöopathie, Verlag Homöopathie und Symbol, 2008

Bildnachweis:
Türschloss, velmo / photocase.com

Literatur:
Burnett, James Compton: Die Heilung von Tumoren durch Arzneimittel, Müller & Steinicke Verlag, 1991
Schlege, Emil: Die Krebskrankheit, ihre Natur und Heilmittel, Emryss-Verlag, 2008
Laborde Yves: Klinische Materia Medica der Krebsmittel, Müller & Steinicke Verlag, 2005
Spinedi, Dario: Die Krebsbehandlung in der Homöopathie (Seminarmitschriften), Cheiron-Verlag 1997
Wuster, Jens: Die homöopathische Behandlung von Krebs und metastasierter Tumore, Peter-Irl-Verlag, 2008
Lilienthal, Samuel: Homöopathische Therapeutika – Handbuch der klinischen Indikationen, Similimum-Verlag, 1993
Guernsey, Henry: Homöopathie in Gynäkologie und Geburtshilfe, Similimum-Verlag, 1995

Kliniken:
Hier eine Auflistung von Kliniken, in denen nach oben vorgestelltem Konzept klassisch homöopathisch bei Krebserkrankungen gearbeitet wird. Für Patient/innen ist es möglich, sich während einem drei-wöchigen Aufenthalt vor Ort ganz auf ihren Heilungsprozess einzulassen. Folgebehandlungen finden dann entweder vor Ort bei der behandelnden Homöopath/in (in Absprache mit den Homöopath/innen in der Klinik) statt oder weiterhin über die Klinik. Die Hahnemann-Klinik und die Emil-Schlegel-Klinik wurden im Rahmen einer Exkursion der Frauenhomöopathieschule im Mai diesen Jahres besucht. Beide Kliniken arbeiten eng mit dem Team des Klinikums Santa Croce (Spinedi, Wuster, et al.) zusammen.
Clinicum Santa Croce, Locarno: http://www.clinicasantacroce.ch
Hahnemann-Klinik, Tübingen: http://www.hahnemann-klinik.de
Emil-Schlegel-Klinik, Bad Niedernau: http://www.emil-schlegel-klinik.com

Unter http://www.dzvhae.com (Internationales Portal homöopathischer Ärzte) kann eine Liste mit weiteren Klinikadressen abgerufen werden.

Autorin: Gudrun Barwig, Heilpraktikerin, Nürnberg

Artikel erschienen in 'Natur-Heilkunde-Journal' Ausgabe August 2010: Onkologie
zu bestellen unter http://www.naturheilkundejournal.de

Bild: privat; "Durchstieg" auf dem Odilienberg