In homöopathischen Praxen und in der homöopathischen Literatur werden diese beiden Begriffe häufig genannt. Was bezeichnen sie bzw. wofür stehen sie? Wenden wir uns zunächst dem Begriff "Konstitution" zu. Was bedeutet er konkret? In Meyers Lexikon wird Konstitution als "das dauerhafte physische Erscheinungs- und Funktionsgefüge eines Menschen; auch die körperliche Verfassung und Widerstandskraft" beschrieben. Etwas ausführlicher ist die Definition in der freien Enzyklopädie "Wikipedia": "aus dem Lateinischen 'constitutio, -onis' 'Zusammensetzung, Anordnung', bezeichnet die Gesamtheit der überdauernden, genetisch vermittelten oder relativ früh in der Entwicklung erworbenen, relativ überdauernden Eigenschaften (Dispositionen) eines Menschen. Im Einzelnen sind die morphologischen, physiologisch-biochemischen und psychologischen Merkmale der Individualität gemeint."

In älteren Konstitutionslehren meint der Begriff in der Regel die Summe der körperlichen und seelischen Veranlagungen eines Menschen. Heute werden unter Konstitution meist die relativ überdauernden körperlichen Eigenschaften eines Menschen zusammengefasst, die für das allgemeine Leistungsvermögen, Wohlbefinden und die Gesundheit wichtig sind und über längere Entwicklungsphasen oder die gesamte Lebensspanne bestehen.

Die Konstitution eines Menschen setzt sich also zusammen aus folgenden Anteilen bzw. Einflüssen:

Familiäre Anlagen
Von unseren Ahnen/Ahninnen erben wir nicht nur unsere genetischen Eigenschaften (Genom), sondern häufig auch Charakterzüge oder angelernte Verhaltensweisen und Glaubenssätze (Mem).

Schwangerschaft
Alles, was die Mutter während der Schwangerschaft körperlich und emotional erlebt, kann die Konstitution des Embryos beeinflussen. Dazu gehören beispielsweise die Bedingungen der Zeugung (z.B. In-vitro-Fertilisation), die Haltung der Mutter zum Kind (ist es erwünscht, erlebt sie die Lebenssituation als passend und die Partnerschaft als tragend), Medikamente sowie medizinische Eingriffe.

Geburt
Auch der Verlauf der Geburt (einfach oder mit Komplikationen) sowie die Atmosphäre in der Klinik oder im Geburtshaus kann Einfluss auf das Kind nehmen.

Soziales Umfeld
In welches soziale Umfeld und Familiensystem ein Kind hineingeboren wird, ob es Geborgenheit, Liebe, Fürsorge, Anerkennung, Förderung erfährt, ob es in Kindergarten und Schule seinen richtigen Platz findet, ob es im Erwachsenenalter abgesichert oder in Arbeitslosigkeit lebt, einen erfüllenden Beruf ausübt, eine glückliche PartnerInnenschaft führt, ein stabiles soziales Umfeld hat, ob es in Friedens- oder Kriegszeiten lebt - all das beeinflusst nachhaltig die konstitutionellen Anlagen.

Äußere Einflüsse
Die Konstitution eines Menschen kann allerdings auch durch äußere Faktoren beeinträchtigt werden. So können zum Beispiel Krankheiten, Unfälle, Traumata, Umweltgifte, Vergiftungen, Süchte, medizinische Eingriffe, Impfungen, die Lebens- und Arbeitsbedingungen usw. chronische Effekte verursachen, welche die ursprüngliche Konstitution wesentlich verändern.

Stärkend auswirken können sich hingegen ein stabiles soziales Umfeld, Geborgenheit, Liebe, Zufriedenheit, Erfolg, gesunde Nahrung und auch ausreichend Schlaf.

Ebenso können Krieg, Hunger, Vertreibung Verfolgung und Gewalt nicht nur zu akuten Beschwerden führen, sondern auch tiefgreifende konstitutionelle Veränderungen mit nachfolgenden chronischen Leiden auslösen.

Die Konstitutionsbehandlung
Die Konstitution hat also mit den individuellen Potentialen und Erfahrungen des Menschen zu tun, was wiederum dem individuellen Ansatz von Heilung in der Homöopathie entspricht. Nicht für die Krankheit gibt es ein Heilmittel, sondern für den Menschen, der an ihr erkrankt ist.

Und dieses Individuum wiederum drückt sich sowohl über die Krankheitssymptome und ihren Umgang damit als auch über seine Anlagen, Eigenheiten, Muster, Strukturen, Überlebensstrategien, Erfahrungen usw. in einzigartiger Weise aus.

Die Norm
Es gibt aber keine Norm, an der Konstitution gemessen werden kann. Auch sie ist für jedes Individuum einzigartig. Das, was ein Mensch an Potential mitbekommen hat, wird homöopathisch unterstützt und gefördert. Damit gehen wir ganz bewusst vom gesellschaftlichen Leistungs- und Normdenken weg und achten vielmehr darauf, was diesem Menschen in seiner Einzigartigkeit förderlich ist.

Die Grenzen
In der konstitutionellen Behandlung berücksichtigen wir dabei auch die Grenzen und Kapazitäten des Individuums. Das kann zum Beispiel bei einem Kind mit Aufmerksamkeitsdefizit bedeuten, dass über die Homöopathie zwar die Konzentrationsfähigkeit gesteigert werden kann, dieses Kind aber trotzdem nicht im Gymnasium glücklich wird, weil seine individuellen Fähigkeiten vielleicht eher in der Kunst oder im Handwerk liegen. Das heißt, eine konstitutionelle Behandlung kann ggf. um Umdenken bewirken, das Konsequenzen einfordert.

Die Freiheit
Letztendlich geht es damit in der konstitutionellen Behandlung darum, einem Menschen dabei zu helfen, sich so zu entfalten wie es ihm aus der Zusammensetzung all seiner individuellen Kompetenzen und Schwächen möglich ist - auf allen Ebenen: der körperlichen, der geistigen, der seelischen und der spirituellen. Immer soll es aber ein individueller, selbstbestimmter Heilungsweg sein.

Veröffentlichung: Artikel erschienen in "Globuli – Magazin für Patienten und Freunde der Homöopathie"
Ausgabe II/2009: AD(H)S bei Kindern

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